Land, Dorf, Kehilla by Almut Laufer

Land, Dorf, Kehilla by Almut Laufer

Autor:Almut Laufer
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Walter de Gruyter
veröffentlicht: 2020-02-15T00:00:00+00:00


Zusammenfassung und Ausblick

Mosenthal, wohl der erste »Ghettoerzähler« in der Nachfolge Komperts, der deutsche Verhältnisse abzubilden sucht, wählt als Schauplatz seiner Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben vornehmlich die »Gasse«. Seiner Darstellung jüdischen Dorflebens indes eignet jene Perspektive, die wie bei Krämer und Tendlau zuvor, den Blick auf die dürftigen Lebensumstände richtet: bittere Armut, allseitiger Mangel und soziale Verwahrlosung bei einer gewissen »Ursprünglichkeit des Gefühls«, das im entscheidenden Moment über Rohheit, Selbstbezogenheit und Existenzkampf triumphiert. Als Vorstufe bürgerlichen Lebens legitimiert sich die altjüdische Gesellschaft durch ihre Leidensfähigkeit, aus der Opferbereitschaft und Gehorsam erwachsen – klassische Werte also, die man zu würdigen weiß. Freilich: Zum Verweilen am Ort lädt nichts ein, sein Fortkommen hat man anderswo zu suchen. Viel von dem, was Mosenthal schildert, trägt den Stempel einer vergangenen Welt, die Moderne und Fortschritt bereits überwunden haben und an deren Erinnerung man sich moralisch aufzurichten sucht.

In Loewenbergs Werk kommt dem dörflichen Schauplatz, je nach Erzählabsicht, unterschiedliche Bedeutung zu, grundlegend wird aber zwischen Dörfern mit jüdischer Gemeinde und solchen ohne jüdische Einwohner differenziert. Ebenso unterscheidet sich das Dorf der Erzählgegenwart von dem Heimatort, über den der leicht verklärte Blick sonniger Kindertage streift und auf dem das begeisterte Auge des Reformpädagogen ruht: denn »Dorf« bedeutet zunächst eine überschaubare Welt, die sich dem jungen Gemüt wie von selbst erschließt; »Dorf« bedeutet aber auch die unmittelbare Erfahrung von Natur im Kreislauf der Jahreszeiten und agrarischen Arbeiten. Auf dem Dorf kann sich die kindliche Seele unbeschwert und frei entwickeln – oder besser: konnte, solange das Dorf als antisemitismusfreie Zone aufrechtzuerhalten war. Das trifft für den Heimatort aus Kindheitstagen zu, der – wie Loewenberg durchaus bewusst ist – in der Erzählgegenwart so nicht mehr existiert. So fungiert das Dorf des Heute wesentlich als eine Welt im Kleinen, an der sich die Mechanismen eines verheerenden Antisemitismus studieren lassen, der längst bis ins Hinterland der Städte vorgedrungen und auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Auffällig, wenn auch nicht überraschend, ist der fehlende Halt, den die jüdischen Klein- und Kleinstgemeinden den Mitgliedern bieten, die ihres Schutzes besonders bedürften: den Außenseitern und Armen, mit denen sich der Erzähler vorrangig identifiziert.

Jüdisches Leben im Dorf literarisch als eine Welt vor dem Antisemitismus vermitteln zu können, hat zweierlei Voraussetzungen: zunächst die Erinnerung an eine behütete Kindheit im Dorf, die historisch in die Zeit intakten (wenn auch rudimentären) Gemeindelebens fällt oder zumindest ein positives Verständnis jüdischer Tradition in der Eltern- bzw. Großelterngeneration voraussetzt und in der die Wahrnehmung von »Andersartigkeit« keine politischen Schlussfolgerungen zuließ und allfällige Feindseligkeiten traditionell-religiösen Ressentiments geschuldet waren. Zum Inbegriff symbiotischer Koexistenz avanciert das Dorf schon allein deswegen, weil die meisten Gemeinden zum Zeitpunkt antisemitischer Agitation in der Provinz ihren Zenit längst überschritten hatten und sich in Auflösung befanden. Die Erfahrung systematischer Ausgrenzung machen die Autoren solcher Erzählungen erst im Erwachsenenalter oder nach ihrer Übersiedlung in ein städtisches Umfeld. Das gilt nicht nur für Jakob Loewenberg, sondern auch für spätere Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie etwa Clementine Krämer und Jacob Picard.

Für die 1873 im badischen Rheinbischofsheim geborene Clementine Krämer,778 die siebenjährig mit ihren Eltern nach Karlsruhe übersiedelte und nach ihrer Heirat in München lebte, wurde das Dorf zum Familienstammsitz.



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